GESCHICHTE
1899 war es im Deutschen Reich zur Gründung der „Gesellschaft der Bibliophilen“ (GdB) gekommen, unter deren 800 Mitgliedern die österreichischen Buchfreunde einen beträchtlichen Anteil ausmachten. Als es in den deutschen Städten zur Bildung von lokalen „Bibliophilen Abenden“ kam, war es nahe liegend, auch in Wien ähnliches zu begründen. Ein entsprechendes Schreiben erging im Herbst 1911 an die Wiener Mitglieder des deutschen Vereines, verfasst vom Schriftsteller Hans Feigl (1869-1937), einer der verdienstvollsten bibliophilen Persönlichkeiten und Begründer der Wiener Bibliophilen-Gesellschaft (WBG). Jedoch wurde der Vorsatz, eine lokale Gruppe des Weimarer Vereines der Gesellschaft der Bibliophilen bald verworfen. Man wollte gleich eine vom deutschen Verein selbständige Vereinigung schaffen.
Also erging ein weiteres Einladungsschreiben zur Gründung einer eigenständigen Gesellschaft von Buchliebhabern, diesmal nicht mehr nur auf die Wiener Mitglieder der deutschen Brudervereinigung beschränkt. Die Vereinssatzung erfuhr eine rasche behördliche Genehmigung, so dass bereits am 3. März 1912 die Gründungsversammlung abgehalten werden konnte. Der Zulauf muss für heutige Verhältnisse als enorm bezeichnet werden – im ersten Vereinsjahr erreichte die Vereinigung bereits 400 Mitglieder. Unter den Mitgliedern finden sich illustre Namen. Literaten (Bahr, Kralik, Schaukal), Theaterdirektoren (Burgtheater: Thimig, Wildgans), Bibliotheksdirektoren (von der Österreichischen Nationalbibliothek, der k.k. Fideikommiss-Bibliothek), Aristokraten (Liechtenstein) um nur einige zu nennen. Die Mehrheit der Vereinsmitglieder bestand aus Ärzten, Richtern, Ingenieuren, Beamten, Universitätsprofessoren, Bankangestellten, Militärs, Industriellen. Nicht zu vergessen, jenen die beruflich nahe am Buch waren: Antiquare, Buchhändler und zu guter Letzt: Bibliothekare.
Bereits ein halbes Jahr später konnte sich die junge österreichische Vereinigung durch Ausrichtung einer Bibliophilentagung bewähren. Es war der uns schon bekannte Hans Feigl, der 1911 auf der Generalversammlung der Deutschen Bibliophilen den Vorschlag erhob, erstmals bei der Wahl des Versammlungsortes über die Grenzen des Deutschen Reiches hinauszugehen und die Reichs- und Residenzstadt Wien für diesen Zweck zu bestimmen. Man konnte da mit gutem Grund auf die zahlreichen österreichischen und speziell Wiener Mitglieder verweisen. Die neue Situation spornte die nun selbständig gewordene österreichische Bibliophilengesellschaft an, alle Kräfte zu mobilisieren. Es war klarerweise der Ehrgeiz der erst sechs Monate existierenden Wiener Gruppe von Buchliebhabern, einen glanzvollen Rahmen für die deutsche Versammlung auf die Beine zu stellen. Die vom 28. bis 30. September 1912 stattfindende Generalversammlung samt Begleitprogramm war durchaus erfolgreich. Im Bericht der GdB heißt es: „…der glänzende Verlauf der Wiener Tagung hat bewiesen, wie auch in dem befreundeten österreichischen Reich unsere Bestrebungen Widerhall finden.“ Der zwei Jahre später ausbrechende Weltkrieg brachte naturgemäß mancherlei Einschränkungen mit sich. Versammlungsabende mit Vorträgen konnten nur mehr selten stattfinden, ganz abgerissen sind sie allerdings nie. Die Reihe der „Jahresgaben“ an die Mitglieder der WBG begann bereits im Gründungsjahr 1912 und bis 1937 gelang es jedes bzw. jedes zweite Jahr ein entsprechendes Druckwerk den Mitgliedern zuzustellen. 16 Jahre nach der Ausrichtung für die deutsche GdB war es wieder soweit. Ein weiteres Mal sollte die Gastgeberrolle für eine Generalversammlung der Weimarer Bibliophilenvereinigung übernommen werden. Vom 28. September bis zum 2. Oktober 1928 hieß die WBG in Wien ihre deutschen Kollegen willkommen. Diese Tagung fiel ins letzte Jahr der Amtszeit von Bundespräsident Michael Hainisch, der, wiewohl nicht Mitglied der Wiener Bibliophilen, dennoch ein deklarierter Förderer ihrer Bemühungen war. Seiner Unterstützung war es auch zu verdanken, dass die Generalversammlung der GdB in den Amtsräumen der Präsidentschaftskanzlei, also in der Wiener Hofburg abgehalten werden konnte. Weitere Programmpunkte: Festvorstellung im Burgtheater, ein Abend im Großen Saal des Wiener Rathauses, Besuch der Nationalbibliothek, Festmahl im Sophiensaal, Exkursion ins Stift Klosterneuburg, Exkursion aufs Schloss Ernstbrunn, Schlussbesuch beim deutschen Gesandten. In diese Jahre muss die Blütezeit der WBG gesetzt werden. Der österreichische Ständestaat ab 1933/34 mit seiner pro-österreichischen und anti-nationalsozialistischen Ideologie brachte zwangsläufig eine Lockerung des Kontakts zwischen deutschen und österreichischen Bibliophilenvereinigungen. Das Vereinsleben der WBG wurde aber auf hohem Stand aufrecht erhalten. Die „vaterländische“ Note der Dollfuß / Schuschnigg-Regierungen dürfte da nicht allzu hinderlich gewesen sein. Nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich war das allerdings anders. Nun kam es zu organisatorischen Umwälzungen. Aber noch dramatischer als diese war der Aderlass den die Wiener Bibliophilen durch die Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Mitbürger – viele davon Intellektuelle und Bibliophile – erfuhr. So wurden diese Jahre gemeinsam mit dem 2.Weltkrieg zu einer Zäsur in der Geschichte des Vereins.
Danach versuchte man an Vorkriegszeiten anzuschließen, mit begrenztem Erfolg. Michael Maria Rabenlechner, (Literaturhistoriker, 1868-1952) Mitbegründer der WGB, schien dafür eine geeignete Persönlichkeit zu sein. In der ersten Nachkriegsversammlung am 14. Dezember 1945 konnte der 77jährige die „Restauration“ der Wiener Bibliophilen vornehmen. Die Vereinssatzung wurde auf Vorkriegsstand zurückgebracht. Aber es zeigte sich, dass weder die Mitgliederzahl noch das Vereinsleben das Niveau früherer Zeiten erreichen konnte. Die enge Verbundenheit mit der GdB war durch den Nationalsozialismus zunächst desavouiert. Ein Jahr vor seinem Tod zog sich Rabenlechner als Vorstand der WBG altersbedingt zurück und übergab an Vertreter der Nachgründergeneration. In den 1960er Jahren kam es zu einer beachtlichen Revitalisierung. Der Mitgliederstand wurde von 124 (1962) auf 244 (1963) fast verdoppelt. Auch die Organisation des 6. Internationalen Congresses der Bibliophilen in Wien 1969 darf als Anzeichen eines solchen Aufwärtstrends gewertet werden. Selbst wenn die Österreichische Nationalbibliothek in erster Linie für die Kongressorganisation verantwortlich zeichnete, die WBG war dabei federführend beteiligt. Leider fand dieser positive Aufwärtstrend in den folgenden Jahrzehnten keine Fortsetzung.
Jahresgaben, die statt Wiederentdeckungen und Faksimiledrucken österreichischer Dichtkunst zeitgenössische Produktionen förderten, konnten sich nicht der gleichen begeisterten Aufnahme unter den Bibliophilen erfreuen wie Traditionelles. (Jahresgabe 1997: Mayröcker: Gala des Messers auf einer Bettdecke, mit Illustrationen von Linde Waber). Dabei schien das fast so etwas wie eine Flucht nach vorne um eine jüngere Generation als Mitglieder zu gewinnen. Danach beschritten alle Wiederbelebungsversuche wieder konventionellere Bahnen.
Vielleicht war das Publizieren von Mayröckers Werk ein zu schroffer Bruch mit dem Gewohnten für die WGB-Mitglieder. Mit dieser Aktion hat man möglicherweise die treuen alten Mitglieder verstimmt, aber dennoch keine neuen dazu gewonnen. Das unerschütterliche Festhalten am Althergebrachten ist ja vielfach gut nachvollziehbar. Wenn sich für die bibliophilen Vereinigungen eine Zukunftsperspektive eröffnen soll, müsste man sich dennoch Neuem gegenüber aufgeschlossen zeigen. Es muss wieder gelingen, Anziehungskraft auf neue Mitglieder auszuüben. Etwa Literaten und Buchillustratoren in höherem Ausmaß für bibliophile Vereinsaktivitäten zu interessieren. Der technische Fortschritt hat es unversehens mit sich gebracht, dass wir in eine Zeit geraten sind, wo Informationsflut ein Hilfsausdruck ist für das, was sich in unserer modernen Industriegesellschaft abspielt. Die „Neuen Medien“ haben das Buch vielfach in den Hintergrund gedrängt, gemeinsam mit dem erweiterten TV-Angebot und seiner Flut an Satelliten-Kanälen. In unvorhersehbarer Weise stehen wir einer Überfülle an Daten, Meinungen, Meldungen gegenüber und ringen um Wertigkeiten und Orientierung. Keine Frage: Das Buch hat einen anderen Stellenwert zugewiesen erhalten. Es ist nicht ersetzt worden, sondern kann noch stärker eine Position des bibliophilen Objektes betonen. Als Nachschlage- und Handbuch wird es den digitalen Medien über kurz oder lang nicht gewachsen sein. Genau wie ein handgeschriebener Brief heutzutage etwas ganz Besonderes bedeutet – im Vergleich zur rasch verfassten und noch schneller übermittelten e-Mail – sollte es dem gedruckten Buch gelingen seine Exklusivität zu behaupten. Man darf nicht übersehen, dass das Internet mit seinem unaufhaltsamen Siegeszug noch weniger Anhaltspunkte für Seriosität seiner Inhalte gibt als es dem Buch je zu eigen war. Dabei zeigt sich, dass der Bildschirm noch geduldiger gegenüber qualitätslosen Produkten ist, als es Papier jemals war. Den Wiener Bibliophilen, wie übrigens auch den deutschen galt immer, dass Schönheit des Inhalts sich mit Schönheit der Form eines Buches zu verbinden habe. Dass also eine rein äußerlich prächtige Ausstattung eines Buches ohne entsprechenden Inhalt zu verurteilen wäre.
Bibliophilie braucht Kontinuität, die letztendlich an Persönlichkeiten hängt. Neuorientierung hin, Neuorientierung her: Eine WBG – bei aller Anpassung an moderne Verhältnisse – wird nur durch aktive Vorstandspersönlichkeiten eine Perspektive gewinnen. Wenn die Mitglieder des Vorstandes (und im weiteren Sinn alle WBG-Mitglieder) andere mitzureißen und für die Liebe zum Buch zu begeistern verstehen, wird die Vereinigung eine Zukunftsperspektive haben. Kommen dabei noch gute Beziehungen zu maßgeblichen Institutionen, die es für Förderungen und Sponsorentätigkeit zu gewinnen gilt, dazu, wird es zum Erfolg der Sache wesentlich beitragen.
GW/MT